GEDICHT more and more
i become the older one
the one whose body
is doing the soft thing
the one whose mind
knows it’s been here before
do we think
we know something
the other one doesn’t
know yet or anymore
how old are you inside
has become our new
check-in question
wohin steuerst du
deine sehnsucht
the new check-out

 

BERICHTSo ein schöner Sonntagsregen. Ich wache auf und öffne das Fenster und döse wieder ein und wache wieder auf, weil es draußen strömt, in geraden Regenschnüren, und der Ahorn und die Linde und der Holunder draußen rauschen und tanzen.

Ich denke weiter über Perfomance nach, über das Performen aus einer Präsenz heraus. Über den Unterschied zwischen Gestalten und Performen. Über Wolkenhände.

Zur Performance übrigens noch die beiden Angeberpflanzen der letzten Tage:

41-magicblume.jpg 41-trompeterkaktus.jpg

Und dass ich den Nachbar:innen von oben ein Foto der trompetenden Kaktusblüte zeigte, weil sie mir den Kaktus ja geschenkt hatten, und dass das einen sehr schnell gesprochenen Monolog ausgelöst hat, bei dem sie mir erklärte, wie sie dank der DDR eine Kaktusausbildung gemacht habe, obwohl sie Bibliothekarin war, und dass ihr Leben doch gut gewesen sei, trotz der gesundheitlichen Beschwerden, und dass sie einen guten Mann habe und dass sie verreist gewesen seien.

Ich verwechsle überall aus dem Augenwinkel den Giersch mit der Schafgarbe. Die Schafgarbe ist die Pflanze, die ich dieses Jahr suche, weil zwei Freundis so guten Tee damit machen. Ich lese nach und stelle fest: Es gibt sogar ein (sehr komplexes) Schafgarbenorakel. Es gibt aus und zu allem Orakel, wir Menschen mögen das anscheinend.

Ich feiere selige kleine Vorgeburtstage, einen mit Freundi, mit gelben Tellern mit Holunderdolden darauf auf einem weißen Geschirrtuch auf dem windigen Balkon, und einen zweiten alleine, denn ich esse die überquellende Unterkruste meines Geburtstagskuchens, den ich vorgebacken habe und gleich einfrieren werde, ich erlaube mir alles, den Aberglauben lasse ich aber sein.

more often than not, the most meaningful human activity boils down to providing support structure for one another. – é. urcadesDer Zauber und die Kraft von kleinen klaren Wünschen, vom Spüren und Wissen, was eins gerade braucht, der Zauber der Bitte und der Zauber der Gabe. Ich versuche, beides zu üben. Wie kostbar die Momente, wenn Fürsorgearbeit voller Freude ist. Und ich will nicht vergessen, wie viele verschiedene Formen sie annehmen kann, dass Trost und Kümmern nicht immer nach ernsthaftem Gespräch und gereichten Taschentüchern aussehen müssen, auch, manchmal, aber nicht nur, manchmal ist es gemeinsames Planen oder ein Kuchen oder eine als Sprachi verschickte Gute-Nacht-Geschichte oder ein dummer Witz usw.

 

EXPERIMENTEEin Experiment: Von einer Kopierwerkstatt, einer nachbarschaftlichen Druckwerkstatt zu träumen. Das Freundi spürt, dass das etwas bedeutsames werden könnte, und ich spüre, wie unglaublich gut das tut, wie mich das zum Weiterträumen anregt. Wie einfach das sein kann, sich gegenseitig im Träumen zu unterstützen.

Ein weiteres Experiment: Das gemeinsame digitale Haus, das die Bach und ich gerade bauen. Die Formen und die Prozesse, die wir dafür finden. So vieles daran ist so aufregend und neu; und gleichzeitig so vertraut, wir arbeiten schließlich seit Jahren schon zusammen, sind ein eingespieltes, schnelles Team. Aber jetzt eben mit ganz neuer Spielwiese.

Ein Experiment in diesem Experiment: Ich glaube, ich will nun auch für diese entstehende gemeinschaftlich genutzte neue Website kein Baukastensystem mehr verwenden. Sondern einen static site generator, wie bei dieser Website auch. Und, noch aufregender, ich will das dann auch als Basis nutzen, die ich anderen Menschen beibringen kann. Es gibt genug Werkzeuge inzwischen, die das eigentlich auch für Neulinge gut handhabbar machen müssten, und es wäre so ein unglaublicher Gewinn an Freiheit und Selbstbestimmung und Befriedigung und Kompetenzen. Alles Open Source, kein Konzern dahinter, keine eingebauten Marketinglogiken, nur das, was man wirklich braucht und sich selber erarbeiten kann, also tatsächliches DIY Veröffentlichen. Wie lange ich schon im Geheimen davon träumte! Es scheint das Jahr zu sein, in dem die Träume sichtbar werden dürfen.

Ein weiteres Experiment: Der vorletzte Zeichenzirkel findet diesen Donnerstag statt, im Modos Dever in Leipzig-Nord. Es waren für mich bisher vor allem Experimente in Gemeinschaft, im Raum halten mit leichter Hand und wenigen Mitteln, selber gezeichnet habe ich nicht viel. Aber vielleicht kommt das noch, und ich mag das unerwartete Lernen eh immer am liebsten. Komm gerne dazu, es ist Platz für alle.

Ein weiteres Experiment: Ich habe mit dem Freundi Gedichte übersetzt, dabei unter anderem dieses von C.P. Cavafy:

ich ging

ich war nicht gebunden. ich ließ mich komplett gehen; ging
zu diesen nachtischen, halb echt
und halb hergestellt in meinem eigenen kopf;
ging in die leuchtende nacht;
und trank starken wein, wie wenn
die könig:innen der freude starken wein trinken

 

VERFLECHTUNGENDie Check-In-Frage stammt aus der monatlichen Arbeitsgruppe des Kollektivs für Nützliche Kunst aka Kompostgruppe aka AG AG. Die Sehnsuchtsfrage stammt aus einem Gespräch mit dem Freundi.

C.P. Cavafy habe ich dieser Tage wieder entdeckt, ich weiß gar nicht mehr, wie ich zu dem oben übersetzten Gedicht kam, aber es wollte zum Freundi; daraufhin fand ich die bilinguale Ausgabe wieder, die ich mir vor ein paar Jahren auf der griechischen Insel gekauft hatte, und seitdem lese ich täglich darin.

Ich mag sehr, wie Lesen gerade wieder zu meiner Trödelpraxis gehört, zu meiner Schreibvorbereitungspraxis, zu meinem Sein hier in der Wohnung, in der überall Bücher bereit liegen für mich, in der überall Zeilen auf mich warten. Das Gefühl hatte ich eine Weile nicht mehr, und ich freue mich, dass es wieder da ist.

Es tauchte zum Beispiel wieder auf Anne Waldmans Trickster Feminism, eine Empfehlung der Rotoren, und darin die Formulierung erotics of engagement, die an meine freudvolle Fürsorge anklingt.

Und Hans Peter Duerrs Traumzeit, hatte das Freundi für mich auf der Straße gefunden, passt so gut gerade zu den nächsten Schritten in der Fabrik, meiner endlosen Erzählung der Traumzeit.

Aus einem Vortrag von Billy Almon kommen diese Fragen, die auch an die freudvolle Fürsorge und an das Träumen anknüpfen: What would you do for others if you had endless energy, time and money? And what would you still do for others if you had no energy, time and money at all left? That’s the range of purpose. (…) Purpose is an everyday job.

Das ist auch Teil der Wolkenhände: Die Sehnsucht zumindest ein bisschen bewusst zu steuern. Dorthin zu lenken, wo gute Blumen blühen, und uns manchmal jemand einen Strauß aus ihnen pflückt und mitbringt. Dorthin, wo unsere anderen Faszinosi liegen.

(Wohin steuerst du deine Sehnsucht?)