GEDICHT Hier ist es wie nirgendwo, hier gibt es ein Wäldchen mit Einhörnern, die Würste essen, das ist wie nirgendwo, hier gibt es einen Konsum, der klein ist und die Menschen sind lieb, hier gibt es Steine, auf denen wir uns küssen, deine zarte Hand in meiner, hier gibt es Platz für alles, also ist es wie überall, nein, es ist wie nirgendwo, denn ich bin hier und nirgends anders und du, wenn du hier bist, bist auch hier und nirgendwo anders, also kann es nur hier wie hier sein, weil nur hier wir über das gemähte Feldchen laufen, weil wir nur hier vom apfelbäckigen Verkäufer zwinkernd ermahnt werden, na, hier wird nicht geknutscht, weil diese Ermahnung uns normalisiert und somit schützt, weil nur hier über uns die Fledermäuse flattern, während wir auf den Steinen sitzen; zwei Wörter, die du hier gelernt hast: die Fledermaus, das Flattern.

 

BERICHTEs war gut, spätabends dann noch mit dem Freundi auf dem Sofa zu sitzen und über das Nichtwissen zu sprechen, wie sehr das der Satz ist, den wir uns beide oft nicht trauen: Ich weiß es noch nicht. Ich habe noch nicht genug Informationen.

Oder auch: Ich weiß nicht, was ich hier tue, machst du trotzdem mit?

Ich habe einen Plan, ich habe viele Pläne, ich habe Prioritäten, ich bin im sorting-shit-out-mode, das gibt mir natürlich wieder ein Gefühl von Kontrolle, ich glaube, Dinge zu verstehen und im Griff zu haben. Und ich darf dieses Gefühl haben, das ist doch voll okay, ich weiß ja selber, dass das geflunkert ist und trotzdem Struktur und Motivation gibt, irgendwie müssen wir doch weiter machen, irgendwas müssen wir doch ausprobieren und ändern, und ich halte schon lange nicht mehr so eisern fest wie früher, ich bin so viel näher an meinen Wolken.

Ich will die Begeisterung des Freundis auch mehr in mir kultivieren, den lauten, fröhlichen Aspekt, das Bekenntnis zum Spiel und zur Freude und zu dem, was sich gut anfühlt. Ich mag die Dinge, die sich für mich gut anfühlen, ich kann ihnen vertrauen. Ich will weiterhin und noch mehr und verstärkt das Ego-Ding aus meinem Schreiben nehmen, aus jeglichem Schreiben, ich will nur noch schreiben, weil es sich gut anfühlt, weil ich es tun will, weil ich an einer Spur dran bin und selber Spuren hinterlassen will, im Sinne von den henselgretelschen Brotkrümeln im Wald.

Aber die Spur scheitert, das hatte ich vergessen, die Kiesel der ersten Nacht funktionieren, die Krümel der zweiten Nacht werden von den Vögeln gegessen, das markiert den Übergang von der kontrollierbaren zur unkontrollierbaren Situation. Die Kieselsteine waren beständig, die Brotkrümel werden zur Nahrung für andere.

Wir standen an S-Bahn-Brücken und geeigneten Straßenecken und schauten während des Spazierens immer wieder in die verschiedenen Phasen der Mondfinsternis, dieses so schöne Schauspiel, das einfach so passiert, das man beobachten oder übersehen kann, das eine rituelle Kraft enthalten könnte, das seinen Zauber kaum verbergen kann, das vom Handyfoto nicht erfasst wird, das größer ist als wir alle und für niemanden geschieht, das Schauspiel, dem es egal ist, ob wir zuschauen oder nicht, ob wir teilnehmen oder nicht, weil wir ja eh teilnehmen, ob wir wollen oder nicht.

 

EXPERIMENTEEXPERIMENT NEUE FOTOS

Ich wurde wieder fotografiert von Julia, und es war wieder so eine Reise, die ganze Sitzung, dieses ganze Gesehenwerden, die Kamera, die ja potenziell immer die ganze Welt mit in einen Augenblick holt, a portal in time and space, das ich nur halb kontrollieren kann, das Vertrauen von mir verlangt, aber ich habe Vertrauen in Julia und wir werden sehen, was da war, genau darum geht es ja, erstmal selber schauen, hin schauen können.

EXPERIMENT KONFLIKTFREUDE

Im Zuge der Prioritäten und im Zuge des Lebens übe ich, in Konflikte mit einer gewissen Freude zu gehen, mit dem Wissen darum, dass wir eine Reibung üben, dass eine Reibung vielleicht manchmal einfach nur eine Komplexität ist, dass das gut ist, solange es nicht aufreibend wird, dass wir das beeinflussen können. Dass in einem Nein auch mehrere Jas stecken können.

EXPERIMENT MICROBREAKS

Ich mache die Winzpausen! Ich unterbreche mein Schreiben, mein Denken, mein Wasauchimmern und kreise den Rücken aus, ich tue es tatsächlich.

EXPERIMENT MITSCHREIBEN IN DER SCHREIBWOCHE

Kathrin und ich teilen uns seit der letzten Schreibwoche die Hüte für die Co-Writings auf, so dass wir die Hälfte der Zeit selber einfach schreiben können, und das ist toll und hilfreich und es entstehen Dinge, zum Beispiel dieser Brief. Und meinen Schreibmorgen mit dem Freundi schmuggel ich auch noch in die Woche hinein, denn der ist ja so schön früh, und auch das bleibt eine solche gute Motivation. 

(Einander dabei zu wissen.)

 

FABRIK (Ein neu entstandener Schnipsel aus meinem Text mit dem Arbeitstitel „Die Fabrik“)Ali ist aufgeregt, Ali schickt ein verschwommenes Foto, Jott fragt später, was drauf war, ein kackender Fuchs, ruft Ali sehr laut, und es trifft sie, wie J sie dafür auslacht, dabei ist das doch etwas Heiliges Seltenes! Der ist nicht wie so ein domestiziertes Hundi das immer und überall kann und dabei immer beobachtet wird und diese Demütigung bereits verinnerlicht hat der ist frei – I find all the witchcraft that we need around us, every day, brüllt Ali und ein bisschen versteht Jott das natürlich dann.

 

VERFLECHTUNGENDas Gedicht oben entstand beim PoeTisch, unserem Lyrikworkshop in der Schreibwoche, den Kathrin dieses Mal entwickelt hat. Sie ließ uns unter anderem einen Hirnschwapp mit einer Zeile von Marie T. Martin beginnen, die Anfangszeile ihres Gedichtes Postkarte.

Es entstanden so schöne Texte dabei, unter anderem auch dieser von Leo Weyreter: hier ist es wie nirgendwo. gleichzeitig warm und kalt und ein waberndes licht. hier ist es so leise, dass du deine spucke blasen werfen hören kannst. hier haben hasen ein rosa gesicht und jede tür hat mindestens drei richtungen. nüsse liegen auf stühlen und das meer singt ein sanftes lied. hier können alle alle verstehen und sprechen doch nicht die gleiche sprache. hier werden viele sprachen gesprochen, viele lautstärken auch, jede ist willkommen. je melodiöser die mischung, desto freier der mut. hier werfen wir uns in improvisationen und manchmal in die arme unbekannter. hier kannst du nachts die sterne zählen und tagsüber das obst. hier ist es wie nirgendwo, wenn du ganz genau hinschaust, wirst du etwas besonderes finden. eine mini-lachtasche, eine lichtmaschine, ein steinchen, einen hahn.

Der schräggestellte Satz im Bericht über die Brotkrümel (Übergang von der kontrollierbaren zur unkontrollierbaren Situation etc) stammt von Claude, der KI, mit der ich über Brotkrümelspuren gesprochen habe.

Und Ali zitiert in dem Fabrik-Ausschnitt Emily Dickinson.