GEDICHTMeine Wetterstation zeichnet auf: Klopfen im Herz, das ist sehr laut, das ist ein kräftiges Element, das fühlt sich an wie etwas, das gerade alles andere bestimmt, Kribbeln in den Beinen, Schmerzen in den Sitzhockern, das Klopfen wieder im Herz, Energie in den Fingern, Unruhe ist da und eine Art von Sorge, eine spielerische Sorge, es ist nichts Gefährliches, es ist ein unruhiges, aber sicheres Wetter in mir
In den Protokollen meiner Wetterstation finde ich: Regelmäßig Wolken und Nebel, also Verdichtungen, die die Sicht behindern, und regelmäßig ihre Auflösungen, also Weitungen, Öffnungen, viele Wirbel, sehr viele Wirbel. Tage und Nächte finde ich auch, aber in sehr viel schnellerem Wechsel als im Außenwetter. Regen, also Erleichterung, finde ich, und angespannte Energie, also brütende Sonne kurz vor dem Platzen. Oft ist es auch sehr lau, für lange Zeit, mildes Wetter ist es dann. Und ja, ich habe manchmal auch einen traurigen Regen in mir, oder einen müden.
Mein Wetterbericht für die kommenden Tage: Es wird ruhiger werden, in Teilen, in manchen Klimazonen, es wird länger dunkel sein, was schön ist, also auf eine schöne Art, ich werde mich gezeigt haben, ich habe mich so viel gezeigt, ich zeige mich jetzt gerade so sehr, und dann werde ich mich nicht zeigen, es wird ein Höhlenwetter, ein Rückzugswetter, ein klärender Wind vor allem, mit ein bisschen Regen vielleicht, aber vielleicht reicht auch schon das Rauschen in den Blättern, es wird hoffentlich kein allzu stürmischer Wind. Es wird eine Dunkelheit. Es wird eine Weite. Es wird eine Ruhe. Es wird einen Sternenschauer geben, vielleicht fliegt unbemerkt ein Komet vorbei. Ah, der Komet! Ah, die Messer. Es wird Messer geben, und Geschnitztes. Es wird vielleicht wieder ein Zuhausegefühl geben, nach einem Moment der Orientierungslosigkeit. Es wird Freude da sein, ich sehe die Freude kommen, sie ist doch eigentlich schon da. Es wird Schamverarbeitung sein, was für ein Wetter ist das? Ein eher feuchtes, nebliges. Es gibt so viele gute Wetter, du wirst sie alle irgendwie mögen.
BERICHTIch habe langsam gefrühstückt, ich habe ausführlich geduscht, ich habe gelüftet und nun alle Fenster geschlossen.
Ich huste und die Klangschale schwingt mit.
Um meinen Hals der leichte Filzglubschi, er schützt mich unglaublich effektiv vor dem bösen Blick, vor dem unverstandenen Blick, vor dem fiktiven Blick. Ich mag so sehr die Weichheit seiner Zungennase, die Festigkeit seiner dicht gefilzten Augen. Ein extra Paar Augen, das mich daran erinnert, dass nicht nur die mich anschauen, sondern ich ja auch die anschaue.
Ich lerne zu improvisieren.
So this is what we are doing: testing out ways to feel closer, finding out what makes us feel close. Sometimes poems. Sometimes bad jokes. Vielleicht sind wir gleichzeitig ein bisschen mutig und ein bisschen schüchtern.
Es gibt jetzt eine Gartendusche, das finde ich einen großen Grund zur Freude.
Auch so schön: Wie ich meine eigene Schnitzlust erneuere dadurch, dass ich für das Pind ein Schnitzset zusammenstelle, dass ich überlege, was es braucht an Werkzeugen und Anleitungen und Verständnis, was es lernen will, dass ich darüber nochmal genauer begreife, was ich selber noch nicht ganz verstehe und was ich noch lernen will.
Das Kind der Freundis ist nun auf der Welt, es kam im Donner und sieht aus wie ein Pfirsich, herzlich willkommen, willkommen in diesem wunderschönen Chaos.
Und ich schreibe jeden Dienstag ein Gedicht und einen Bericht. Also fühle ich mich schon am Vorabend mühlend und mahlend. Also sage ich mir jetzt schon, wie leicht dieser Wunsch, ein Gedicht zu schreiben, gehalten werden muss. Ich klopfe die Woche ab, ich klopfe Gefühle ab, ich klopfe Sprache ab. Ich denke über Gedichtlänge nach, ich denke vor allem über kurze Gedichte nach. Ich denke an Körperempfindungen. Ich frage mich, was ich zeigen will und welche Sprache ich sprechen will.
Es liegt so viel unerwartete Freiheit darin, wenn wir uns wirklich gegenseitig unsere Sprachen sprechen lassen. Weil wir dann bewusst übersetzen, weil wir dann bewusst hören, weil klarer ist, dass es Fehler geben wird. Weil wir uns in weniger Formen pressen. Weil wir dann mehr Zugriff auf mehr Fantasie behalten.
Übersetzen macht oft sehr viel Spaß, und geht einfach nicht immer auf. Und muss es auch nicht. Wir können und müssen nicht alles hören. Wir können und müssen nicht alles verstehen.
(What feels impossible? – Exactly this. Also träume ich wohl wirklich, denn diese Frage ist die Anleitung zum Träumen.)
EXPERIMENTEIch hatte eine Lesung, bei der ich auch Karaoke singen musste, und ich war so viel aufgeregter als vor jeder anderen Lesung, weil singen! in der Öffentlichkeit! und weil ich dazu noch heiser war. Aber ich hatte (passend zu meinem Text, in dem zwei Freundinnen ein illegales Tätowier- und Orakelstudio auf einer Brachfläche aufmachen), Rose Tattoo als Lied ausgewählt, und das lässt sich ja zum Glück auch heiser ganz gut mit grölen. Und ich zeichnete mir ein sehr großes Rosentattoo auf den Arm für den Abend, ein bisschen Gimmick für das Ganze, ich schwankte zwischen ganz viel Mühe machen und alles einfach so laufen lassen, ich entschied mich für: es mit möglichst viel Freude machen.
Und dann habe ich gelesen, in einem Raum voll süßer queerer Menschen, und ganz viele dieser Süßies lachten so schön über meinen Text, gingen mit ihm mit, scheinen ihn gemocht zu haben, machten sich Gedanken über Ali (die tricksterartige, leicht nervige Figur darin), verglichen sich mit Jott (die erstmal stabiler wirkende Figur, die einen Rettungswagen fahren kann), ich war präsent im Raum, und Ali und Jott waren präsent und die Menschies mit uns, und das war schön. Und dann habe ich wirklich Karaoke gesungen, zum ersten Mal in meinem Leben, und auch das geht irgendwie, es wussten alle, wie awkward das ist und sie freuten sich, dass ich mich trotzdem getraut habe, mich da hin zu stellen. Und mein Rosentattoo war bis dahin völlig verschwommen, aber das war egal, ich hatte es ja eh vor allem für mich gemacht.
(Und der Beamer balancierte auf einer Packung Hafermilch.)
Danach hatte ich einen Sichtbarkeitskater, ich war SO SEHR GESEHEN worden, und ich fühlte mich auch gesehen, und ich habe auch Menschen gesehen, mit meinen echten Augen und mit dem Glubschi um meinen Hals.
Am nächsten Morgen habe ich in kleiner Runde online dann gleich noch ein Gedicht geteilt, und das fühlte sich ein bisschen an wie ein Konterbier, ein gleich nochmal gesehen werden und gleich nochmal sehen, nochmal hören und gehört werden, und danach brauchte ich wirklich erstmal Ausnüchterung, Höhlenwetter, nicht gesehen und nicht gehört werden, außer von mir selber. Drin bleiben. Nachwirken lassen, spüren, wie schön und aufregend das alles war, wie viel Kraft das gekostet und gegeben hat, welche Momente wieder auftauchen, Scham verarbeiten, da bleiben. Die Reste der Rose abwischen.
VERFLECHTUNGENDas innere Wetterstationengedicht stammt wieder aus unserem offenen Schreibnachmittag – ich mag diese Schreibanlässe selber so sehr und merke oft erst später, was da bei unserem spielerischen kleinen „PoeTisch“ eigentlich alles aufgetaucht ist und wie alles miteinander verflochten ist. (Komm dazu!)
Die Anleitung zum Träumen (also die Frage What feels impossible?) stammt von Kali.