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Die Politisch Schreiben ist eine Zeitschrift, die sich kritisch und künstlerisch mit den Zuständen innerhalb des Literaturbetriebs auseinandersetzt. Die Künstlerin Katrin Erthel hat die Ausgabe #5 gestaltet und wurde mit der Gestaltung der #6 beauftragt. Dazu lud sie mich ein, mit zu machen.

Das Thema dieser Ausgabe der PS ist das literarische Debüt. Wir schenkten unser eigenes kollaboratives Debüt: Ein Quilt, das wir von Hand nähten und dann über den Seiten verteilten.

Das hier ist die Geschichte unseres Arbeitsprozesses, ein Sammelbeutel der Fäden und Ideen, die wir dabei zusammensetzten. Und die einer Freundschaft, und die von Welten, die Kraft bekommen und sich auch neu zusammensetzen.

Alles ist da, und nichts muss gezeigt werden. Es wächst langsam und unerwartbar. Jane verlässt die Werkstatt und sagt zu ihrem Bild: „Das wartet.“

Ri

Ka und ich hatten im Jahr zuvor zusammen genäht, bei Kerzenschein an ihrem Wohnzimmertisch, und dabei die Art von Gesprächen geführt, die am besten geführt werden, wenn die Hände beschäftigt sind.

Dann schickte mir Ka den Essay von Ursula K. Le Guin über die Beutel, den ich bis heute täglich in meinem Rucksack mit mir trage.

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Dann fragte mich Ka, ob ich mit ihr etwas entwickeln würde für die Gestaltung der PS.

Ich mag ihre Art zu denken, Zeichnungen wie Pferde durch ein Heft gallopieren zu sehen, wie sie eine Skype-Performance aufsetzt und dabei erstmal nicht sicht- und hörbar ist, dann ihren Tisch zeigt, dann einen Pfannkuchen auf ihrem Gesicht aufisst. Sie ist handgenäht.

Ich mag die gestopften Stellen. Ich mag dabei Podcast hören und nachdenken über das Schreiben.

Wir treffen uns auf dem Müllberg, wir pflücken wilde Kamille und Wermut und Heckenrosenblüten und Honeysuckle, wir laufen den Müllberg hoch und sprechen gute Dinge und planen einen Teppich oder einen Wandbehang oder eine Geschichte oder ein Pferd, auf jeden Fall eine Tasche, wir sitzen auf den Überresten einer Bank gut getrennt, anderthalb Meter von Sockel zu Sockel, und zwischen uns liegen Bücher und Hefte und es regnet ganz zart und die Schwalben drehen durch und der Himmel ist sehr nah.

ps3-beuteltext-1.jpg Auszüge aus Sheila Levrant de Bretteville’s Essay A Reexamination Of Some Aspects Of The Design Arts From The Perspective Of A Woman Designer [PDF]

Ich will nur noch raus, ich will in dem Blütenmeer auf dem Müllberg leben und Bäume hochklettern und Beutel füllen. Was würde mir am meisten Spaß machen. Will ich wirklich Vollzeit Künstlerin sein. Bringt das nicht eigenen Druck und Unfreiheiten mit.

Ich baue mehr, ich scanne mehr. Ich mache Löffel. Ich zeichne wieder.

Ich mag Ka’s Aneignen, ihr durchdringendes Selbermachen und Gestaltenwollen, das ist sehr schöne Anarchie. Komme ich auch an den Punkt, an dem ich keinen elektrischen Kalender mehr führe? An dem ich ein Papier falte und dann vielfach kopiere?

Dankbar für Luft und Wind, für den reichen, vielschichtigen Stoff meines Lebens, all diese Fäden, all diese Collagen. Schreiben ist Aneignen.

Heute eine Tasche sein.

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ps-wachstumsprozess-text.jpg Notizen von Ri zu den Bewegungen und Verdichtungen

Ka

Ein Job: Machst du das Heft nochmal?

Hm, war schon viel Stress, und ich irgendwie alleine damit.

Ihr habt ja euch und tauscht euch aus. 

Alleine mach ich’s nicht. Ich will auch was davon haben.

Ich frag Ricarda: Du, deine Pferdebilder, die gefallen mir. 

Hast du Lust, dass sie die PS illustrieren?

Irgendwie sind wir dann recht schnell dahin gekommen, die Illustration zusammen zu machen und an schon vorangehende Arbeitsprozesse anzuknüpfen.

Ich erinnere noch wie Ri zu mir kam, Kleider zum Reparieren dabei hatte und ich mit der Nähmaschine ihren Anweisungen folgte. Dabei sprachen wir über dies und das, über das Arbeiten besonders und ich genoss den Moment sehr, fragte mich, ob sich etwas daraus ins andere Arbeiten übertragen ließe, jenes, das oft so maschinenhaft wird.

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Nuria hatte mir ein Stück der Tragetaschentheorie auf einen Samtbeutel genäht und zum Geburtstag geschenkt. Später schickte sie uns den ganzen Text mit einer Haferflocke unter Tesafilm. Ihr Beutel umhüllt nun meine Wärmflasche. Und Nuria trägt Akazienblüten im Mund.

ps4-beuteltext-2.jpg … umringt von weiteren Fäden, die sich durch unsere Arbeit zogen.

Dann hab ich viel gelernt, über Ri’s Arbeitserrungenschaften. Sie hat ein Atelier (mit Badewanne), das bewundere ich schon lange sehr. Und darin bindet sie unterschiedliche Arbeitsfelder aneinander. So als würde sie einfach alles machen, worauf sie Lust hat. Gerade vor allem Löffel schnitzen.

Aber auch schreiben und zeichnen. Und über das Arbeiten schreiben und anderen helfen, die eine erste Webseite für ihre Selbständigkeit brauchen, und in einem feministischen Kollektiv hat sie mitgemacht. Und sie liest und schreibt – Gedichte zum anziehen und einen Roman hat sie begonnen. Jetzt macht sie auch Radio. Keine Angst vor Debüts. (?)

Und ich? Debütantin im Grafikdesign? Habe dieses Jahr die ersten Erfahrungen im Debüts von anderen gestalten gesammelt. Der enge Spalt zwischen Textschluss und Drucklegung, die Lücke von Erwartetem. Im Debüt ist noch viel zu lernen.

Doch auch: wir sind noch nicht enttäuscht und können eigene Wege finden?

Ob ich damit noch ruhiger werde? Ich vergesse mich selbst so schnell.

Ich hatte ja schon geahnt, dass ich mich nicht so gut um einen schönen Schein kümmern kann. 

Dass mir da eine Verbindung fehlt.

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ps-psferde.jpg Notizen von Ka zur Alltagspraxis, einen Faden aus vielen zu flechten

In Sheila Levrant de Bretteville’s oben genanntem Essay gibt es ein Bild von Helen Mary Rounsvilles „Horse“ Crazy Quilt ps9-horsequilt-Helen-Mary-Rounsville.jpg

Davon ausgehend haben wir die Illus für die PS#6 als großes Ganzes gedacht, dass auf die einzelnen Seiten verteilt wird. Die Illustrationen wollen wir nicht zeichnen, sondern in einem langsamen, händischen Prozess patchworken. ps10-horsequilt-Helen-Mary-Rounsville.jpg

Den Horse Crazy Quilt haben wir uns also angeeignet und als äußeren Rahmen für unsere Arbeit gedacht, als Garten für unsere Pferdies. Der innere Rahmen bildet unser Sprechen und Austauschen vor Ort, und die Texte, die wir uns gegenseitig zum Lesen geben. ps11-horsequilt-Helen-Mary-Rounsville.jpg

Das Tempo einer anderen Person, die Materialien und Ideen und Anliegen und Sprache einer anderen Person mit meinem Arbeitsprozess zu verbinden, das ist schwierig und schön und genau richtig für den Moment. Der Prozess ist wichtig dabei, das ist viel kindhafter und spielerischer als das Meiste, was ich für mich mache, was dabei herauskommt gefällt mir oder vielleicht auch nicht, aber es ist interessant und interessant entstanden und Zeuge von Verbindung und Austausch und neuen Puzzle-Stückchen in Beziehungen.

Ich lasse mich immer weniger festhalten von den Erwartungen anderer an mich oder an meine gewählte Kunst, ob Lyrik das und das darf oder jenes nicht, ob ich zeichnen kann und große Formen und Farben kann. Es werden immer mehr Kooperationen, und sie verbinden und verdichten sich.

Und ich habe so viel über Ka erfahren, und sie über mich. Wir haben uns Musik gezeigt und Stellen aus unserem Leben erzählt und Fäden gesponnen und sehr sehr langsam gemacht, mit unseren Pferde-Patinnen auf dem Rand der Matratze und den geräucherten Inspirationskräutern in der Mitte und die Rose, die ich auf dem Weg fand, und das Sträußlein, das sie in der Sackgasse band. Mittags war ich spazieren und sah eine furchtlose winzige Maus mit braunem Streifen auf dem Rücken.

ps-patchworktisch.jpg In die Arbeit flossen viele Materialien ein: Stoffreste, T-Shirtfetzen, Mülltüten, Wegblumen, Wischtücher, Absperrbänder, eine Mund-Nasen-Maske mit Pferdemotiv, Samtstoff von Ka’s Diplom-Uniform, ein Tuch, das schon oft die Büchertische bei den PS-Lesungen schmückte, Seidenmalerei von Ri’s Mutter, eine geschenkte Bluse einer neuen Freundin, die beim ersten Tragen unreparierbar zerriss …

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Pferdepfade, Trampelwege.

Pferde. Beutel. Quilt. Kollaboration. Meta Kommentar zur Buchgestaltung. Miteinander statt einzeln. Wie viel in unseren Beuteln für uns selber unsichtbar ist und sichtbar wird in Beziehung.

Wie der Beutel-Essay zum Sammeln und den Beuteln führte. Wie der feministische Design-Essay und das gemeinsame Nähen zum Quilt führte. Wie unsere Gespräche beim Patchworken zu Tiefe führten. Wie die Pferde plötzlich um einen Garten herum standen und hinein wollten. Wie wir keine Expertinnen sein wollen, keine Einzelkämpferinnen, keine Oberfläche glätten oder verschönern. Wie wir eine zusätzliche Ebene schaffen wollen, ein liebevolles, langes Gespräch und Auseinandersetzen mit den Gesprächen und Gedanken im Heft. Etwas, das Autor:innenschaft verwischt und Fäden einwebt. Ein paar random, private Fäden. Wie all diese Fäden nicht abgetrennt sind, wie wir sie in unsere nächsten, weiteren Projekte mit aufnehmen und dort einweben. Wie wir halt große Beutel machen und darin Sachen sammeln, und damit eine andere Geschichte erzählen.

Ich habe von Ka geträumt, und tatsächlich von Pferden, der Traum hatte die Form eines länglichen Kokons und ein weißes Pferd hüpfte so vehement hoch, dass es umkippte und auf seinen Rücken fiel. Es machte ihm aber nichts aus.

Und im Putzen denke ich: I will go all in. Ich kombiniere alles, ich zeige alles, ich denke out loud, ich schreibe täglich für die Öffentlichkeit, jetzt wirklich. Angewandt.

Dann habe ich die großartigen Quilts von Rosie Lee Tompkins gefunden und alles hat noch mehr Sinn gemacht.

Wie sehr Quilts mein gesamtes Patchwork enthalten könnten. Quilten ist zeichnerisch, handwerklich, politisch, feministisch, kollaborativ, kommunikativ, nachhaltig, Quilts können Text enthalten und selbstbedruckte Stoffe, Quilts können Geld machen und Kunst sein und außerdem eine Decke. Blows my mind, und es lag schon vor mir, und ich bin so langsam wie alle anderen auch.

ps-quilt-boden.jpg Hier beginnen wir, den geflochtenen Zaun um den Garten herum zu legen.

Wir haben die PS tragbar eingewickelt in einen Beutel. ps14-beutel-umwickelt.jpg

Damit noch ein Pferd auf’s Cover gelegt. ps15-cover.jpg

Und die Quilt-Quadrate wie geplant zu den Texten verteilt. ps16-innen.jpg

… dann huschte noch ein Altrosé hinein. ps17-cover-rosa.gif

Und heute beginnt auch mein erster Abschied von Ka, sie nimmt nachher unser Quilt mit und wir fangen an, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Und dann entsteht ein bisschen Platz für Neues, und in den darf ich hinein fließen.

I am a dancer. I dance. I am a singer. I hum. I am a liver. I take care of the place I live in and the people I live with. I had one peanut butter cookie too many.

Die Kerze, die Ka mitnehmen wollte nach B., und die sie dann doch mit mir auf den Balkon angezündet hat. Wie gut sie auf sich achtet, wie sie sehr selbstverständlich Entspannung in ihren Tag einbaut, schwimmen geht, draußen isst, sorgfältig einzelne Kartoffeln auf einem Teller anordnet. Sie erlaubt sich Langsamkeit, sie muss die nirgends klauen. Und ich werde immer mehr auch so. Wir beginnen unser Studium.

Wie doch alles gebraucht wird, was im Beutel ist.

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Ein Traum von Ri:

„ich habe letzte woche von einem ganz weißen quilt geträumt, es war riesig und hing über einer großen mauer, es bestand aus relativ ähnlich großen quadraten aber hatte trotzdem eine ähnliche qualität wie deine bettdecke.“

ps-creeley.jpgWir stellen uns eine Lesung vor, auf der wir an einem Tisch in Nähe der Zuhörenden sitzen und unsere Arbeit fertig quilten, die Teile zusammen steppen, mit einer weichen Schicht dazwischen. Auf der wir draußen im Herbstlicht sitzen und steppen und andere können sich mit uns an den Tisch sitzen, eine Nadel und einen Faden aufnehmen und mit steppen. Auf der es Kekse in Pferdeform gibt, für alle zum hinein greifen und nehmen, auf der es zu jedem Heft einen Bon gibt, auf den das gesamte Quilt gedruckt wird in klein.

Oder wenigstens eine Lesung, auf der wir auf jeden Stuhl ein Stück weiche Watte legen können, als Trost und Beruhigung.