40-eyes-ears.jpg GEDICHT

 

BERICHTDas Lebenshandwerk tauchte diese Woche immer wieder in meinem Nachdenken auf.

Ein Lebenshandwerk ist ein Handwerk, das ich aus Freude am Tun und aus Freude am nicht-perfekten Ergebnis lerne und übe, und dessen Ergebnisse im Alltag für mich nützlich und wertvoll sind; in dem ich allerdings keine Meisterschaft anstrebe. Ein Lebenshandwerk befriedigt in sich schon, und braucht keine oder wenig Außenbestätigung.

Es ähnelt dem Hobby in seiner Nicht-Kommerzialität und dem Fokus auf Freude, orientiert sich aber mehr an der Nützlichkeit dessen, was dabei entsteht, und wird oft viel sporadischer ausgeübt, nämlich einfach nach Bedarf. (Und die Grenze zwischen Hobby und Lebenshandwerk ist natürlich sehr fluide.)

Ich mag am Lebenshandwerk die oft extrem einfachen Mittel.

Ich mag meine Fähigkeit, drei vier fünf Kräuter oder Gräser oder Bäume in meiner Umgebung zu erkennen, aus denen ich Tee machen kann, und jedes Jahr eins mehr zu erkennen. Und nicht erst eine Kräuterausbildung machen zu müssen, oder intensivst Bücher zu lesen – das kann noch kommen, aber es muss nicht der Anfang sein, der Anfang kann sehr einfach sein.

Und dann reicht vielleicht auch dieser einfache, stetige, kleine Anfang, weil es schon so schön ist, auf dem Morgenspaziergang Holunder zu ernten.

Ich will zulassen, dass auch ein einfaches Mittel, etwas, das bodenständig ist, nicht groß kulturell oder kunstig oder emotional gerahmt ist, mich befriedigt. Ohne Meisterschaft, ohne Ausbildung, einfach im Kleinen Tun. Das Kleine Tun. Das, was auch Kinder befriedigt, das Kleine Singen, das Kleine Tanzen, das Kleine Zeichnen, alles mit größter Selbstverständlichkeit, Kinder überlassen keine Kunst den Profis. Oder gar nichts, denn in ihren Welten kochen sie ja auch mit und retten und heilen und reparieren mit.

Ich könnte mit noch so viel einfacheren Mitteln arbeiten.

Interessiert mich denn irgendwo Meisterschaft? Ich meistere meine Form des Schwimmens, dort will ich gerade meistern: möglichst glücklich sein im Wasser, möglichst glücklich sein danach, möglichst viel Wasser spüren, möglichst viel präsent sein. Was vielleicht das ist, was ich überall meistern will, und was keine Außenjury mir je bestätigen könnte, niemand könnte mir diese Meisterschaft aushändigen.

Beim Zeichnen fällt es mir viel schwerer, da komme ich nicht an die Präsenzschicht dran, da habe ich oft zu viele Bilder von Können und Meisterlichkeit drüber liegen, da weiß ich vielleicht zu genau, wo ich gern hin will und kann deshalb nicht so gut mit dem da sein, was aber gerade da ist. Im Singen, Summen, Klang machen habe ich das nicht, interessanterweise, da habe ich so viel Distanz zu allem Betrieblichen und jeglichem Ehrgeiz, dass ich vielleicht mehr Freiheit habe, besser spielen kann.

Ansonsten mag ich Faszinosi, Obsessionen, Rabbit Holes. Ein Faszinosum ist kein Punkt, sondern ein Spektrum. Ich mag, wenn das eine Phase sein darf, dieses Commitment zu einem Thema, einem Gedanken, einem Bild, wenn es so lange sein darf, wie es in dir lebendig ist und dann auch wieder aufhören darf, wenn es nicht zu einer Außenanerkennung führen muss, wenn du es für dich tust.

Die spannendste Frage bleibt doch: Für wen machst du das?

Im Sommer letzten Jahres erzählte Julia Schäfer beim Lost Festival in Thallwitz von dem Moment, als sie einem Taxifahrer (war es ein Taxifahrer? aber es sind ja immer Taxifahrer in solchen Anekdoten) erzählte, dass sie Kuratorin ist in einem großen Museum, und er daraufhin fragte: „Und für wen machen Sie das?“, und damit ihren ganzen Beruf mit einem Satz in Luft aufgelöst habe.

Und vor noch viel längerer Zeit stellte Alexander Hahne uns diese Frage zu Beginn eines Workshops, und sie begleitet mich seitdem auf gute Art.

Ich kann Sachen für mich machen. Undaber ich will Sachen nicht nur für mich machen.

Ansonsten habe ich solche Freude über den aufziehenden kühlen Wind am Abend des urplötzlich heißen Sommers, Hitzeblitze, zu langes Abendteetrinken mit dem Freundi am Küchentisch, draußen Lärm, der nach Urlilärm klingt, Zeichnungen mit der linken Hand, Gespräche über das Dranbleiben und Träumen als Skill und all die vielen herausfordernden Lebenssituationen um uns, der Wind scheppert die Türen ein bisschen, schmeißt Pflanzen und Cremes runter, wir gehen alle mit ungewaschenen Füßen ins Bett und noch Sonnencreme im Nacken.

 

EXPERIMENTEIch habe gestern meine überarbeitete Website (diese hier) online gestellt, ich habe mit der Auflösung der alten Website begonnen, ich fühle mich mutig dabei. Ich habe mit der Startseite begonnen und dem Design, also genau so, wie ich es eigentlich nicht empfehle, aber es war genau richtig so. Ich habe die Schrift und Teile der Farben und Teile der Stile von diegutewebsite.de übernommen, und auch das fühlt sich so schön an, würdigend, kompostierend, einarbeitend. Ich nehme mich mit, nothing is wasted.

Und diese Briefe werden zu meiner Hauptarbeit. Wenn es sich um sie dreht, dann flechte ich meine Stränge anders, dann strukturiere ich mich organisch anders, denn ich wollte diese Woche ein neues Experiment zeigen können, also habe ich gestern die Seite überarbeitet. Dann bekommt meine andere Arbeit organisch und sinnvoll aus dem Schneckenhaus der Briefe heraus seine eigene Dringlichkeit.

So war das noch vor einer Weile:

ich stecke an der schwelle ein bisschen fest
manches ist schon anders und manches noch nicht
ein teil spürt eine wärme ein teil eine frische
ich wiege mich auf der stufe hin und her
nochmal ein bisschen rein
nochmal ein bisschen raus
komm komm!
hier hier.

Und jetzt bin ich mit einem Fuß schon über der Schwelle.

 

VERFLECHTUNGENDas handgeschriebene Gedicht oben habe ich für eine Person geschrieben, mit der ich, zusammen mit sechs weiteren Menschen, anderthalb Stunden lang gemeinsam Klänge improvisiert habe, auf Instrumenten, mit Reißverschlüssen, quietschenden Stühlen, Mündern, einem Kinder-Laufrad, mit allem, was wir drehen, quetschen, quietschen, reiben, klopfen, knistern, schieben konnten.

(there are so many great verbs in improvisation)

Sieben Menschen, die noch nie zusammen Musik gemacht haben. Wir haben versucht, auf uns und die anderen zu hören, versuchten, unserer eigenen Stimme zu folgen und gleichzeitig zum Kollektivklang beizutragen, hinhören, antworten, abändern, Neues reingeben … Ich bin immer noch am Grübeln, wie ich diese Art von gemeinsamer Improvisation auf eine Schreibgruppe übertragen könnte, was da die Instrumente wären, ob es ein gutes Lernfeld wäre.

Es erinnerte mich ein bisschen an meine Übung beim Schreibnachmittag, bei der ich Menschen sichere innere Orte aufsuchen ließ und von dort (jede Person für sich), aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare, rufen ließ, wie der Kuckuck. Ich hatte dabei nur Klänge, nur Körper, ich rief bappbappbapp, ich rief Rhythmen, ich hatte Gesten, ich kauerte, ich war Hip Hop, ich sang, ich trällerte, ich schnalzte, ich hopste, ich sah aus dem Fenster, ich sah einen Bauarbeiter an die Linde pinkeln, er sah mich auch, ich rief ichsehedich ichsehedich ichsehedich ichsehedich dusiehstmichauch ichsehedich duweißtdassichdichsehe ichsehedich.