Wer ist „wir“?

Next time someone says “We as a people need to …” please interrupt them and ask “We who?”“ – Saeed Jones in We whoWen meinst du, wenn du „wir“ schreibst?

Und in jedem ich / ist bereits das du / und das wir / und die Welt enthalten“ – Ruth C. Cohn, gefunden in Was wir in die Welt bringenIch hätte gerne detailliertere „wirs“.

Ein allewir, wenn jeder einzelne Mensch auf der Erde und unser gemeinsames Erleben dieser Welt gemeint ist.

Ein ichwir, wenn ich Menschen in ähnlichen Situationen wie ich selber meine. Das ichwir käme mit der Erwartung, dass die schreibende Person dabei genauer benennt, welche Aspekte sie gerade als die verbindenden sieht.

Ein wirwir, wenn ich bestimmte andere Menschen meine, mit denen ich etwas erlebe oder bespreche. Hier würde der Kontext benennen, welche Menschen das sind und in welcher Beziehung die schreibende Person zu ihnen steht.

Das allgemeine, schwammige „wir“ kann als praktische (aber immer unpräzise) Schreibformel eingesetzt werden oder als ein Werkzeug zur bewussten Manipulation oder einfach als unüberlegte Selbstverständlichkeit, weil man zu den Menschen gehört, die „wir“ sagen und damit immer glauben, „alle“ meinen zu können.

Ich will dieses „wir“ gar nicht streichen, ich will auch diese Ungenauigkeit kennen und aushalten und manchmal schätzen. Ich finde nicht, dass jeder Text mit einem Disclaimer oder einer Einführung beginnen muss, wie ich es hier ausprobiert habe. Ich will mich nur nicht so oft hinter einem unpräzisen „wir“ verstecken.

Und ich will nicht nur für mein Spiegelbild schreiben.

Ulrike Draesner schreibt in den Frankfurter Poetikvorlesungen, der Grammatik der Gespenster, gegen die Behauptung an, Schreibende müssen authentisch sein und alles, was sie beschreiben, selber erlebt haben:

Wie sehr trauen wir unserer Empathie, diesem Wissen aus Übertragung und Projektion? Dort, wo wir der andere sind, Gespenst in einem fremden Gemüt, ohne er oder sie oder es zu sein.

Was ich mag, und gleichzeitig fällt mir gerade bei ihr auf, dass ihr „wir“ vor allem aus akademisch gebildeten, weißen Deutschen besteht.

Wenn Preciado „wir“ schreibt, zähle ich mich dazu, habe aber gleichzeitig das Gefühl, ich müsse mir diese Zugehörigkeit erst verdienen.


siehe auch Privilegien, die Berechtigung, über sich selbst zu schreiben, autobiographisches Schreiben und die Schwierigkeit eines Ichs im Text