Hier ist eine Papiertüte voller Walnüsse.

Ich fand die Nüsse unter einem Baum, der zur Hälfte über einen vergessenen oder nicht gut erreichbaren Weg ragt, in der großen, üppigen Haufenform der vergessenen und nicht gut erreichbaren Dinge. Ich stopfte meine Jackentaschen voll mit ihnen. Ich überlegte, auch meine Socken voll zu stopfen, und musste dabei an den jungen Pekannuss-Sammler in Geflochtenes Süßgras denken, Robin Wall Kimmerers Großvater, der sich die Hosen auszog, unten zuknotete, die Hosenbeine mit den dicken süßen Nüssen füllte und in der Unterhose zurück nach Hause rannte.

Sind diese Walnüsse ein Geschenk?

War mein Straßenfund ein Geschenk? Ist das Wasser, das ich trinke, ein Geschenk? Sind die Pekannüsse, die ich im Supermarkt kaufe, ein Geschenk und wen ja, von wem? Was macht das mit mir, wenn ich sie als Geschenk begreife? Was sagt das über mich aus, wenn ich keine Geschenke annehmen will?

(Im Traum fand ich eine einzelne riesige Haselnuss, es war ein Handtäschchen, darin waren Kastanien.)

Hier ist ein Pilz.

Er hat Form, Farbe und Größe einer runden Kartoffel, inklusive der kleinen blättrigen braunen Schuppen. Du nimmst ihn in die Hand und er ist so leicht! Er ist ein mit Luft gefülltes Kissen, ein Ruheort für ein Wesen, das deutlich kleiner ist als du. Er gibt unter deinen Fingern nach.

Dieses Wissen und ganz viele der darauf folgenden Überlegungen verdanke ich der Autorin und dem Komposthaufen Sophie Strand. Hier ist ein Fakt über Pilze: Die Luft ist voll mit ihnen. Also nicht nur ein bisschen, ab und an eine Spore, sondern in jedem Atemzug. Wir atmen jeden Tag sieben Nanogramm fremder DNA ein, das entspricht dem 10.000-fachen Informationsgehalt unseres menschlichen Erbguts.

Was genau machen diese Informationen in unserem Körper? Wer sitzt in uns und nimmt sie dankend entgegen? Wer baut einen Schlachtplan mit ihnen, wer singt uns damit ein tröstliches Lied? Könnte ich diese Sendungen auch entziffern? Was müsste ich dafür vergessen? Wie alt muss Käse sein, damit Käse Teil meiner DNA wird?

Hier ist eine Nacht mit einem Gewitter darin, so laut und krachend und blitzend, dass ich um drei Uhr morgens barfuß auf dem Balkon stehe und einfach nur zuschaue und zuhöre, diesem riesigen Krachen. Immer weniger interessiere ich mich für richtig oder falsch, immer weniger interessiere ich mich für eine Einordnung von Verhaltensweisen, Menschen, Theorien, immer weniger für das gute Gefühl, etwas „richtig“ gemacht, entschieden, verstanden, beschrieben zu haben. Immer mehr interessiere ich mich für Beziehungen und Verwandtschaft, für Spiralen, für Dreck, für Ansteckung, für das Warten, das Hinfühlen in einem Körper, der wirklich da sein darf und kann, der Schmerzen hat, der Freude hat, der voller Pilze und Informationen ist, der ohnehin aus mehr bakteriellen Zellen besteht als aus menschlichen, dessen sogenannte Einheit nichts als eine schwindlige Behauptung ist. Ob es nach einem solchen Regen mehr oder weniger Sporen sind?

Ich habe ein Dutzend Mückenstiche, auch das ein vielfaches Durchdringen meiner angeblich so festen Haut. All die Informationen, die wir täglich und laufend ausblenden müssen, um auf unsere gewohnte Art funktionabel zu bleiben, die endlosen Informationen, die wir einatmen, die wir sehen, die wir träumen, die wir auf der Haut spüren, in Unterschieden von Luftdruck und Luftzügen und Temperatur, die wir mit unseren Gliedern spüren, die wir auf verschiedenen Frequenzen hören, die wir schmecken, sobald wir den Mund aufmachen, natürlich müssen wir einen Großteil davon ausblenden, selbst wir Hochsensible tun das weitestgehend automatisch oder sind eben mit diesem basalsten Ausblenden schon mehr als genug gefordert. Und was wäre, wenn wir lernen würden, etwas mehr aufzumachen, etwas weniger auszublenden? Lernen würden, mit dieser Blende zu spielen? Ich muss an den Habicht denken, der vor dem letzten Sturm in New Orleans in ein Taxi flüchtete und dort einfach blieb, sich nicht verjagen ließ, dem unmissverständlich klar war, dass er in diesem Moment in einem Innenraum mit unbekannten Menschen sicherer war als draußen an der Luft. Was könnte ich noch wissen, weil es in mir ist?

Hier ist ein Pilz, der sich auflöst, der nur noch aus kriechenden Maden und glücklichen winzigen Fliegen besteht. Ich will in den Spiegel schauen und kein Individuum mehr erkennen, keine abgetrennte Einheit mit einer abgetrennten Geschichte. Auch ich werde verrotten und mich auflösen, Nahrung werden für Wesen, die deutlich kleiner sind als ich.

Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich bereits in der zweiten Ausgabe dem Herz dieser Sendungen nähere, also der Frage: Ich sage „Hier ist etwas“ und was ist es dann für dich – was sagst du dann?

Danke.

Ist das für mich?

Ah. Danke. Warum?

Weil … Das ist, was ich verteile. Das sind meine Sporen, und sie fliegen in allerlei Richtungen.

Dieser Brief an dich ist eine Walnuss, über die du stolperst und die du liegen lassen kannst, ein anderes wird sie finden, oder du kannst sie auflesen und in einen Beutel stecken, oder du gehst ein paar Schritte und kehrst dann nochmal zu ihr um.

Hier ist noch etwas: Die Erinnerung, dass kleine Kartoffeln mit Butter und Salz sehr lecker sein können. Tanten wissen sowas.

WegwarteUnd hier ist noch etwas: Das Blütenblatt einer Wegwarte, denn die säumt dieser Tage all meine Wege.