Dazzle Camouflage

Dazzle Camouflage ist eine Form der Tarnung, die verwirren will, und nicht verbergen. Das macht dann Sinn, wenn etwas zu groß, zu eindeutig, zu sichtbar ist, als dass es verborgen werden könnte.

Ein Beispiel dafür sind die Streifen auf Zebras, die als „motion dazzle“ gelten: Wenn eine Herde Zebras in Bewegung ist, fällt es einem angreifenden Tier aufgrund ihrer Streifen schwerer, ein einzelnes Tier auszumachen, das es aussondern und angreifen kann. Die Streifen gehen ineinander über und die Konturen des Einzelzebras verschwimmen; die Herde bleibt eindeutig sichtbar, das einzelne Tier wird aber im Ganzen verborgen.

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(Anscheinend dienen die Streifen zum Beispiel auf vielen Schlangenkörpern oder dem Schwanz eines Waschbären einem ähnlichen Zweck – angreifende Tiere können durch die Bewegungen des geringelten Schwanzes wohl nicht so gut ausmachen, wo genau der Waschbär sitzt und welche Richtung er anpeilt.)

Dazzle ist somit etwas anderes als Balzverhalten (zum Beispiel das Schlagen eines Pfauenrades), da es ein ganz anderes Ziel verfolgt – Dazzle will nicht anlocken, sondern einen Abstand halten oder eine Verortung erschweren.

siehe WikipediaEin militärisches Beispiel für Dazzle Camouflage sind die Kriegsschiffe der amerikanischen und britischen Armee im ersten Weltkrieg, die von deutschen U-Booten bedroht wurden. Die Ortung fand damals vor allem über Sicht statt, und die riesigen Schiffe mit ihren dampfenden Schornsteinen waren auf jeden Fall zu groß, als dass sie klassisch getarnt hätten werden können. Stattdessen wurden sie mit extrem auffälligen grafischen Mustern bemalt, die mit optischen Verzerrungen spielten und zum Ziel hatten, dass die U-Boote die Schiffe zwar natürlich sehen konnten, aber nicht genau erkennen konnten, in welche Richtung sie ausgerichtet waren und sich bewegten:

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Die Muster wurden ausgiebig getestet und von sogenannten Camofleur:innen entwickelt:

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Oh to be a dazzle camofleur!

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Ob diese Art von Tarnung die Kriegsschiffe tatsächlich vor den U-Booten geschützt hat, ließ sich trotz Analysen nach dem Krieg nie wirklich heraus finden, und mit Aufkommen der Radarortung wurde sie sowieso überflüssig.

Mich interessiert die Absurdität in dieser Tarnungsart, und der sideways approach darin: ein scheinbar binäres Problem (entdeckt werden oder nicht entdeckt werden) auf ganz andere und geradezu tricksterhafte Art anzugehen.

(Und ich mag den gemeinschaftlichen Tarnungsansatz der Zebras.)

Außerdem interessieren mich Übertragungen des Dazzle Camouflage, insbesondere die folgenden beiden:

Bei meinen Recherchen habe ich dieses Paper von Jessa Lingel entdeckt (siehe auch dieses Video), die zu dem Zusammenhang zwischen Dazzle Camouflage und „queer counter conduct“ forscht; ihre Beispiele scheinen mir etwas forciert, aber vielleicht sind das alles einfach wichtige Gedankenspiele Inwieweit ist Drag eine Form von Dazzle? Einige queere Tarnungsformen dienen dem Einflechten und Verbergen, dem nicht-gesehen-werden in einer Gesellschaft oder in einer Landschaft – ist Bühnen-Drag zumindest manchmal ein sideways approach zu der Binarität von Geschlechterperformance? I wouldn’t be able to hide my queerness anyway, so why not blow it up and play with it in a very public way?

Rachel Mennies in The Naomi Letters (How do I look away now that I have seen you?)

Und: Inwieweit kann Dazzle auch eine Schreibtechnik sein („ich verwirre, um eine Verortung zu erschweren“)? Und wann tarnt ein besonders schönes, glänziges, aufsehenerregendes Schreiben ungewollt den eigentlichen Kern eines Textes?

Dazu dieser etwas rätselhafte Austausch unter diesem Instagram-Post, der meine Dazzle-Forschungen überhaupt erst ins Rollen brachte:

I enjoy speakers who say or write or emanate beautiful things, so beautiful it makes you go wow, what an incredible shiny person. they’ve really got this down, so much insight, so many things I could have. but as true as their words ring, that shininess obscures them. I don’t know. but it’s a painful longing, more drug than skill & I don’t really bear them any ill will, but the best (best for lack of a better word) point back to something inside us. and that doesn’t go away easily. and it lodges in there.. and it takes up residence. … – reminds me too of “dazzle” as a survival skill/strategy. Like, sometimes things are so shiny that they kind of disorient us!


siehe auch Tarnung als queere Praxis