hochsensibel

Ein Disclaimer: Ich habe vor allem Texte von Elaine Aron gelesen, und ihren Selbsteinschätzungstest gemacht, sowie mich mit anderen Hochsensiblen ausgetauscht – sprich: Ich habe mich auf Laienebene ein bisschen mit diesem Thema beschäftigt und gebe hier vor allem persönliche Erlebnisse wieder, keine fachliche Einschätzung. Wissenschaftlich gesehen ist Hochsensibilität als Konzept umstritten und es gibt noch nicht ausreichend Forschung dazu; das sollte man genauso im Kopf behalten wie die Tatsache, dass Selbsteinschätzungen immer rutschig sind (das ist ein bisschen wie Horoskope lesen, irgendwas davon stimmt ja immer). Falls dich deine erhöhte Sensitivität belastet und du damit ringst, und vor allem mit Abgrenzungen zum Beispiel in Richtung Autismus oder Depressionen, wende dich bitte an eine Fachperson.Nachdem erstaunlich viele Menschen (vor allem Website-Kundinnen) das vorsichtig an mich herangetragen hatten, habe ich mich vor einigen Jahren mit Hochsensibilität beschäftigt. Dabei habe ich festgestellt, dass die damit beschriebene Art von Reizverarbeitung ziemlich genau auf mich zutrifft.

Der Begriff wurde geprägt von der Psychologin Elaine Aron, deren Forschungsschwerpunkt Hochsensibilität is. Laut Arons (umstrittener) These ist geschätzt jeder fünfte Mensch hochsensibel. Das wäre also sehr häufig und dennoch nicht die Art und Weise, wie die Mehrheit die Welt erlebt. Die Hochsensibilität ist für jede dieser Personen unterschiedlich ausgeprägt, bedeutet aber vor allem, dass diese Menschen weniger Filter haben, um die Welt um sich ausblenden zu können. Sinnesreize von außen erreichen sie somit stärker, egal ob das Geräusche oder Gerüche oder Berührungen sind, und sie empfinden sie oft schneller als Belastung. Genauso erreichen sie oft die Gefühle anderer stärker, also Stimmungen in einem Raum oder Gruppendynamiken.

Für mich war die Erkenntnis, dass ich vermutlich hochsensibel bin, auf eine Art sehr entscheidend: Ich verstehe inzwischen besser, warum ich mich in manchen Situationen überhaupt nicht wohl fühle, warum ich dann zum Beispiel „einfriere“, und kann anders darauf reagieren.

Wie kürzlich in einer neuen Gruppe zu einem eher emotionalem Thema: ein Dutzend fremder Menschen verteilt in einem relativ großen Raum, viele davon mit Masken, was natürlich sinnvoll ist und dennoch das „Lesen“ der anderen erschwert, und dazu lief ziemlich laute Musik. Die Musik war für die anderen deutlich wahrnehmbar ein Entspannungsfaktor und fühlte sich für sie vermutlich auch gar nicht so laut an – ich war ein einziger Anspannungsklumpen, der fieberhaft versuchte, die ganzen verschiedenen Reize auseinanderzukämmen, einen Sinn darin zu finden und auch etwas beizutragen, was mir aber nicht gelungen ist. Als dann zwei im gleichen Raum anfingen, Tischkicker zu spielen, musste ich gehen, das habe ich gar nicht mehr gepackt.

Ich sehe das inzwischen so, dass es an meinen fehlenden Filtermöglichkeiten liegt, wenn andere Menschen Musik und Nebengeräusche und Unklarheit über die Stimmungslage einer Gruppe besser ausblenden können. Dass weder ich noch die bescheuert sind. Dass wir einfach unterschiedliche Körper haben.

Seitdem ich das so verstehe, bin ich weicher mit meinen Urteilen (über mich und andere) und kann an manchen Tagen besser für mich sorgen. Kann gehen, wenn ich eine Situation nicht mehr packe. Kann Menschen darum bitten, dass sie kein Parfüm tragen, wenn wir uns treffen. Kann mich ohne schlechtes Gewissen nach einer kommunikationsintensiven Woche für ein paar Tage ausklinken. Kann in einer lauten Bahn einfach meine Kopfhörer aufsetzen und White Noise hören, auch wenn ich Kopfhörerzombies selber doof finde.

Gleichzeitig versuche ich mich regelmäßig daran zu erinnern: Diese Art von Sensibilität ist völlig normal und viele Menschen, die sich selber nicht als hochsensibel bezeichnen, sind in manchen Momenten ähnlich sensibel.

So wie ich in manchen Momenten ja durchaus auch viele Reize (und sehr laute Musik) vertrage.

Ich will kein weiteres Kästchen, in das ich mich hineinzwänge, ich will mir keine Privilegien und besonderen Behandlungen erhaschen. Aufgrund all meiner anderen Privilegien kann ich nämlich ziemlich gut mit meiner Art und Weise, die Welt wahrzunehmen, umgehen. Ich nehme meine Selbsteinschätzung „hochsensibel“ also vor allem als Möglichkeit, mehr von mir zu verstehen und besser für mich zu sorgen. Insgesamt langsamer zu sein in einer Welt, die vor allem schneller mag.

Und ich nehme sie als Motivation, auch für andere die Möglichkeiten „weicher“ und „langsamer“ greifbarer zu machen, denn das tut uns allen gut.