Reparieren

Louise Bourgeois

Nadeln haben mich immer schon fasziniert, die magische Kraft der Nadel. Man greift zur Nadel, um einen Schaden zu beheben. Sie ist die Bitte um Vergebung.

Sachen reparieren können ist ein Lebenshandwerk.

spiegel.jpg Marseille, 2015

Die Kultur der Reparatur basiert auf Kenntnissen, auf Können, auf analytischem Denken, aber auch auf Lebensklugheit, auf Wertschätzung und, vor allem, Achtsamkeit. Wie ich mich gegenüber materiellen Dingen aus meiner Umgebung verhalte, sagt etwas über mich als Mensch.“ – Wolfgang Heckl, der mir allerdings in diesen Gedanken viel zu wenig auf strukturelle Überlegungen eingeht (weder darauf, dass manche Menschen nicht die Ressourcen haben, um Achtsamkeit zu erlernen und/oder teurere, länger haltbare Produkte zu kaufen, noch darauf, dass der Staat natürlich bisher ungenutzte Gestaltungsmöglichkeiten hat, um die Qualität und Lebensdauer von Produkten zu bestimmen)Sie zu reparieren kann eine Wertschätzung sein – der Gegenstände und der Energie, Zeit, Kraft und weiteren Ressourcen, die in ihre Herstellung geflossen sind. Sachen reparieren kann genauso aber eine Notwendigkeit sein, weil es nichts Neues oder keine Ersatzteile gibt oder weil man sich keinen Ersatz leisten kann.

Zu den Alltagsobjekten, die ich repariert habe, entwickle ich eine neue Beziehung. Ich kenne sie besser, ich weiß, wie sie aufgebaut sind, wo ihre Schwachstellen sind und wo sie stark sind. Wir haben miteinander Zeit verbracht. Sie bekommen mehr Lebensdauer und ich lerne etwas Neues.

Ich mag die japanische Reparierkunst Kintsugi. Hier werden zerbrochene Keramikteile mit einem speziellen Lack zusammengeklebt, der mit Goldpulver vermischt wird. Eine solche Reparatur kann durch den extrem langsam trocknenden Lack Monate dauern, und es entstehen dabei sehr sichtbare Spuren, die aus der Schale etwas Neues machen, etwas noch kostbareres.

Ich mag Celia Pym und ihre geflickten Kunstwerke, genau wie Tom van Deijnen und seinen grüner Pullover, den er über sechs Jahre hinweg flickte. Ich mag meine eigenen geflickten Pullover, mit bunten Stellen wie kleinen Sternen, und meine geflickten Socken mit ihren Kästchen über den Zehen.

Ich mag diesen Verein, der Reparatur-Anleitungen für angeblich unreparierbare Güter sammelt und diese Reparatur-Cafés, in denen Menschen sich unter fachkundiger Anleitung zum Reparieren treffen.

reparatur-stuhl.jpg Leipzig, 2020

Deshalb mag ich mein Fairphone so sehr, auf dessen Rand steht „Designed to open“, und das sich tatsächlich komplett aufschrauben und reparieren lässt, und jedes Teil ist einzeln als Ersatzteil erhältlich.Es geht mir auch darum, ob man ein Objekt überhaupt reparieren kann — was bei den modernsten und glattesten unserer heutigen Dinge, an denen man nicht einmal mehr eine Schraube zum Öffnen der Hülle findet, oft nicht gegeben ist. Es geht mir um Unabhängigkeit, und um Konsumprotest, denn ein selber repariertes Gerät ist natürlich ein neu gekauftes weniger.

Ich lerne aus dem Reparieren: Es kann nicht darum gehen, unkaputtbar zu sein. Unsere Gegenstände und wir selber müssen Brüche bekommen können, wir müssen durchgeweht werden können, wir müssen Teile verlieren und trotzdem weitermachen können. Wir sind immer noch wertvoll. Und mit etwas Mühe und Zeit und Verbindlichkeit können wir reparieren und heilen und weitermachen.

(Aber nicht um des reinen Funktionierens willen, und nicht weil andere uns einreden, wir seien kaputt.)

zaun.png Diesen Zaun / möcht ich haun“ – Wolfram Lotz

(…) though damage is not necessarily permanent, neither is repair. What is won or changed or fixed has to be maintained and protected or it can be lost. What goes forward can go backward. Efficiency says that grief should follow a road map and things should be gotten over and that then there should be that word that applies to wounds and minds both: closure. But time and pain are a more fluid, unpredictable business, expanding and contracting, closing and opening and changing.“ – aus Recollections of My Non-Existence von Rebecca SolnitIch lerne daraus: Auch mit Reparaturen ist man nicht fertig. Was du einwebst, kann sich wieder lösen. Was du klebst, kann wieder aufgehen. Was du flickst, kann wieder aufplatzen. Ich lerne, dass das nicht schlimm ist.

Ich lerne aus dem Reparieren wieder einmal, dass nichts perfekt sein muss.

Dass wir eben da anfangen, wo wir anfangen können, und dass die Texte, Ideen, Websites, Gegenstände besser werden, je lebendiger sie werden. Je mehr Beziehung wir zu ihnen entwickeln.

Und ich lerne, dass vielschichtige Veränderungen sich auf Websites zwar meist nicht sichtbar als Patina oder abgegriffene Stellen oder kreative Reparaturen manifestieren — aber dass wir darauf vertrauen können, dass andere spüren, was in uns lebendig ist, wozu wir Beziehung haben, welchen Gedanken wir uns immer wieder zuwenden.

startseite-reparatur.jpg Leipzig, 2021